Die Phase zwischen Ohnmacht und Euphorie

Politik ist manchmal wie gemeinschaftliches Puzzeln, nur das die Nachbarskinder miteingeladen wurden und andauernd Puzzleteile verstecken. Und häufig kommt auch noch dazu, dass der Puzzlekarton mit dem finalen Bild abhandengekommen ist. Besonders wenn es darum geht echten Klimaschutz umzusetzen habe ich häufig das Gefühl, dass viele nur so tun, als würden sie dasselbe Bild zusammensetzen.

Dabei ist es prinzipiell sehr eindeutig, wo wir als Gesellschaft und Staat hinmüssen. Erst vor zwei Wochen wurde der sechste Synthese-Bericht des Weltklimarats veröffentlicht. Schon seit 1985 forschen internationale Wissenschaftler*innen zur Erderhitzung, und vermehrt auch über die nötigen politischen Gegenmaßnahmen. Der aktuelle Synthese-Bericht fasst die Erkenntnisse der globalen Klimawissenschaft der letzten acht (!) Jahre zusammen. Ich kann nur empfehlen in die Kurzfassung reinzulesen, eine so weitreichende Zusammenfassung internationaler wissenschaftlicher Ergebnisse findet sich sonst nirgendwo. Allerdings muss ich vorwarnen, die Ergebnisse sind sehr besorgniserregend.

Eine Zahl aus dem Report hat mich besonders schockiert: Bis zu 3,6 Milliarden Menschen leben schon heute in Regionen die durch Dürren, Überschwemmungen, Wasserknappheit oder anderen Auswirkungen der Klimakrise bedroht werden. Also fast jeder zweite Mensch auf diesem Planeten.

Dabei hält sich die Erderwärmung aktuell noch in Grenzen: Bis 2020 hat sich die Erde um 1,1° erhitzt. Das bedeutet allerdings eine durchschnittliche Erwärmung an Land um 1,6°. Schon 1,1° bedeuten Hunger, Verlust von Lebensgrundlagen und Leid und Tod verursacht durch Unwetterkatastrophen wie der Tropensturm in Malawi erst letzten Monat.

Mit Blick auf die kommenden Jahre ist der IPCC-Bericht glasklar: Jedes Bisschen Erwärmung verstärkt Dürren, Überschwemmungen, den Meeresspiegelanstieg. Eine weitere schlechte Nachricht ist: Selbst unter den optimistischen Szenarien wird das 1,5°-Ziel wahrscheinlich verfehlt und in naher Zukunft überschritten. Wenn sich die internationalen Klimaschutzmaßnahmen nicht intensivieren, erhitzt sich unsere Erde bis 2100 um 2,8°.

Und der Synthese-Bericht macht klar: Niemand möchte in einer durchschnittlich 2,8° wärmeren Welt leben.

Aber wir stehen vor keiner unlösbaren Aufgabe. Der Bericht des Weltklimarats sagt uns eindeutig was wir als Gesellschaft und Politik tun müssen, um das Schlimmste zu verhindern. In allen Lebensbereichen und Sektoren müssen wir entschieden handeln, in der Industrie, der Landwirtschaft, wir müssen anders heizen und uns genau überlegen welche Infrastruktur wir fördern – wir müssen umdenken und transformieren.

Doch in unserer politischen Realität ist häufig der Status quo so tief verankert, und wird so energisch verteidigt, dass wir nicht schnell genug vorankommen. Solange Autobahnen Priorität haben, steht der Klimaschutz hinten an.

Dabei gibt es so viel Fortschritt, so viel Bewegung, so viele Möglichkeiten und so viel Mut zur Veränderung. In der politischen Diskussion werden nach langen Jahren des Stillstands endlich die richtigen Fragen gestellt: Wie können wir klimaneutral heizen? Wie können wir den Windenergieausbau beschleunigen? Mit wem können wir Handelsbeziehungen aufbauen, die nicht nur uns, sondern auch unserem Planeten nachhaltig nutzen?

Gleichzeitig ist Windenergie 55 Prozent günstiger, und Solar und Lithium-Ion Batterien sogar 85 Prozent günstiger geworden. International wird darum gerungen, wer erneuerbare Technologien am günstigsten herstellen kann. Wir müssen dafür sorgen, dass wir diesen Trend antreiben, nicht ausbremsen.

In der Debatte dürfen wir niemals vergessen, wo wir hinwollen, wie das Puzzle aussehen soll, auf das wir uns 2015 in Paris geeinigt haben. Klimaschutz verhindert Extremwetterereignisse, das Zerstören von Lebensgrundlagen, Ernteausfälle und regionale Konflikte – aber da hört das Bild nicht auf.

Wir wollen in einer Welt leben, in der wir unsere Energie sauber vor Ort erzeugen können, ohne uns abhängig von Diktatoren und Oligarchen zu machen. Wir wollen in sauberen Städten leben, die für Menschen konzipiert sind, nicht für Autos. Wir wollen mit gutem Gewissen die Dinge konsumieren, die uns gefallen.

Die Herausforderungen sind riesig und wir müssen alle gemeinsam anpacken. Doch wenn wir ein gemeinsames Bild vor Augen haben, kommt irgendwann der Moment, indem sich die restlichen Puzzleteile wie von selbst ins Bild einfügen. Also worauf warten wir?