Die Krise ist nicht vorbei

Der Krieg gegen die Ukraine ließ in Deutschland die ohnehin hohe Inflationsrate kontinuierlich höher schießen, bis sie im Oktober 2022 ihren Höhepunkt bei fast 9 Prozent erreichte (Statista). Besonders besorgniserregend war die Strom- und Gaspreisentwicklung an der Energiebörse in Leipzig. Zwischenzeitlich wurde Erdgas für über 30 Cent pro kWh gehandelt und teilweise für über 40 Cent verkauft (Zeit online).

Mit Sorge beobachtete man die Füllstände der nationalen Gasspeicher. Würden wir diesen Winter in eine Gasmangellage geraten? Also wurde fleißig gespart – und das mit Erfolg: Aktuell werden 15 bis 20 Prozent weniger Gas als in den Vorjahren verbraucht (Zeit online). Gleichzeitig waren die Bemühungen des Wirtschafts- und Klimaministeriums erfolgreich, die Energiesicherheit mittel- und langfristig sicherzustellen. Schon im Dezember 2022 wurde Deutschlands erstes LNG-Terminal in Wilhelmshaven eröffnet.

Heute liegt der Gaspreis bei 11,2 Cent, das ist weniger als vor dem Ausbruch des Krieges. Und unsere Gasspeicher sind, jetzt wo wir den Winter wohl hinter uns gelassen haben, immer noch zu zwei Dritteln gefüllt. Die Krise scheint fast überstanden, oder nicht?

Aus meiner Sicht haben wir es nun mit einer verlagerten Krise zu tun, die die Gesellschaft mit einer sozialen Unwucht betrifft. Seit einem Jahr schon entwickeln sich die Preissteigerungen für Lebensmittel viel dramatischer als bei anderen Waren. Aktuell liegt die Inflationsrate für Lebensmittel bei 20 Prozent. Preise von Speisefetten und Milchprodukten steigen sogar um 34 Prozent (Verbraucherzentrale).

Das betrifft jetzt vor allem diejenigen, die einen Großteil ihres Geldes für Lebensmittel ausgeben müssen. Wenn der bescheidene Wocheneinkauf einer kleinen Familie schon letzten März nicht mehr 50 sondern 60 Euro gekostet hat, gehen heute vielleicht schon 70 Euro drauf. Schuldnerberatungen berichten, dass immer mehr Menschen, die bisher nie Schulden hatten, jetzt ihre Hilfe benötigen. Das sind Menschen, die nur mit Mühe die letzten Jahre der Pandemie über die Runden gekommen sind und jetzt in die Armut getrieben werden.

Aus Armut erwächst immer eine ungleiche Teilhabe an Gesellschaft. Kommunen arbeiten gegen diese Krise der Teilhabe oft dezentral an: Etwa mit Ermäßigungen für den Besuch im Schwimmbad oder beim OGS-Besuch. In NRW bekämpfen wir mit dem zweiten Krisen-Maßnahmenpaket, gezielt die krisenbedingte Kinderarmut. Trotzdem wird sich die Situation für viele Familien in Deutschland aufgrund der Inflationslage wohl noch verschlimmern. Auch deshalb braucht es jetzt auf Bundesebene eine Kindergrundsicherung, die Kinder aus der Armut holt. Kinder haben das individuelle Recht, mit genügend zu Essen, in einer warme Wohnung und mit kindlicher Freude aufzuwachsen und wir als Gesellschaft haben die moralische Verpflichtung, das zu ermöglichen.