Acht Punkte für eine demokratische Sicherheitspolitik gegen Islamismus

Nur wenige Tage nach dem Anschlag von Solingen hat ein 15-Jähriger aus Wuppertal mutmaßlich mit einem Islamisten im Ausland gechattet, der ihn zu einem weiteren Anschlag mit einem Messer animieren wollte. Auf TikTok postete der 15-Jährige Videos, in denen die Flaggen der Terrormiliz “Islamischer Staat” zu sehen waren. Beispiele wie diese zeigen: Hinter jedem islamistisch motivierten Terroristen und jeder verachtenswerten islamistischen Tat stehen Hintermänner; Menschen, die den Islam zum Islamismus pervertieren, die sich und andere radikalisieren, die menschenverachtende Hetze verbreiten. Der Terroranschlag von Solingen hat uns schmerzlich vor Augen geführt, dass wir unsere Freiheit und unsere Sicherheit jeden Tag aufs Neue verteidigen müssen. Der Anschlag wurde von einem Mörder ausgeführt, aber er hatte nicht nur einen Täter.

Die Feinde der Demokratie nutzen die sozialen Medien als Nährboden für Radikalisierung. Sie gefährden unsere vielfältige, liberale Gesellschaft. Genauso klar, wie wir Terroristen selbst bekämpfen, müssen wir deshalb auch die Hintermänner und die Radikalisierer in den sozialen Medien in den Fokus nehmen. Der Anschlag der terroristischen Hamas am 7. Oktober des vergangenen Jahres auf Israel und der seither bestehende Krieg im Nahen Osten wird von islamistischen Akteuren auch im Netz als Mobilisierungsthema genutzt. Sie versuchen alle zu radikalisieren, die sie in die Finger bekommen, egal welches Alter, Nationalität oder Hautfarbe.

Wir brauchen eine demokratische Sicherheitspolitik gegen Islamismus im Netz, die diesen Entwicklungen effektiv Einhalt gebietet. Es muss sicher im Netz zugehen. Die Europäische Kommission hat mit dem neuen Internet-Gesetz, dem Digital Service Act (DSA), ein wirksames und vielseitiges Instrument in der Hand. Sie muss sich trauen, es einzusetzen.

  1. Terroristische Inhalte konsequent löschen: Nach aktueller Rechtslage müssen Digitalplattformen terroristische Inhalte innerhalb von 60 Minuten löschen. Plattformen, die dafür nicht genügend Personal bereitstellen, müssen sanktioniert werden. Das muss endlich umgesetzt werden. Das gilt
    aber klar für terroristische Inhalte und darf nicht dazu führen, dass Plattformen wahllos legale Inhalte löschen.
  2. Die künstliche Verstärkung radikaler Inhalte stoppen: Die Algorithmen der Plattformen verbreiten radikale Inhalte stärker als gemäßigte – weil die Plattformen mit der daraus folgenden längeren Verweildauer so mehr Geld mit Werbung verdienen. Heißt: Je emotionaler und radikaler die Botschaft, desto mehr Menschen erreicht sie – dieses verantwortungslose Profitstreben gefährdet unsere Sicherheit. Mit dem DSA kann die Europäische Kommission Plattformen zwingen, diesen Mechanismus zu ändern. Das sollte sie auch tun. Nutzerinnen und Nutzer sollten selbst darüber entscheiden können, was in ihren Timelines erscheint.
  3. Schluss mit gezielter Manipulation in den Sozialen Medien: Islamistische Hassprediger nutzen die Datenprofile der Plattformen, um ganz gezielt einsame oder labile junge Männer ausfindig zu machen und dann gezielt anzusprechen. Sie sind für islamistische Propaganda besonders anfällig. Dieser Form von Manipulation muss ein Ende gesetzt werden. Persönliche Daten und Nutzerprofile gehören nicht in die Hände oder in den Zugriff von Extremisten.
  4. Islamisten-Profile dauerhaft sperren: TikTok-Nutzer, deren Profile wegen wiederholter illegaler Gewaltaufrufe gesperrt wurden, müssen dauerhaft von der Plattform entfernt werden. Es kann nicht sein, dass sie einfach ein neues Profil erstellen oder ihren Inhalt auf anderen Profilen hochladen und somit weiter ungehindert ihren Hass verbreiten und zu Gewalt anstacheln. In besonders schwerwiegenden und geeigneten Fällen sollte sich der Staat auch trauen, ein Vereinsverbot auszusprechen
  5. Digitale Streife: Die Verbreitung von Gewaltaufrufen und Volksverhetzung ist längst verboten. Doch viel zu oft kommen Täter mit ihren menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Aussagen angesichts der Informationsmasse im Netz straffrei davon. Deshalb braucht es die Möglichkeit von den Polizeibehörden, in Foren und Telegram-Gruppen virtuell auf Streife zu gehen und Gesetzesverstöße aufdecken zu können. Genau wie bei der realen Streife geht es nicht darum, permanent mit den Augen und Ohren überall zu sein, das kann weder im realen Leben jemand wollen noch im digitalen. Es darf aber nicht sein, dass aus Personalmangel allein die Möglichkeit schon ausscheidet. Es braucht auch weitere Übersetzungsprogramme, die Behörden bei der Ermittlung unterstützen.
  6. Sicherheit durch Integration schaffen: Unser bester Schutz vor Extremismus ist eine liberale und offene Gesellschaft. Es kommt auf jeden an. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und gläubige, progressive Muslime, die sich vor unsere liberale Demokratie stellen, sind die stärksten Verbündete gegen radikale Islamisten. Islamische Gemeinden, die sich klar, laut und deutlich gegen Verfassungsfeinde und für unsere demokratischen Werte positionieren, müssen wir gemeinsam stärken. Denn wir brauchen starke Partner im zivilgesellschaftlichen Kampf gegen den Islamismus. Und grundsätzlich gilt immer: Je zuversichtlicher Menschen in ihrem Lebensweg durch Umfeld, Arbeit und Perspektive sind, desto geringer ist das Risiko, dass sie sich auf gefährliche Abwege begeben. Wir müssen aufeinander Acht geben, gerade in unseren Nachbarschaften. Auch deshalb müssen wir Musliminnen und Muslime vor islamfeindlichen oder rassistischen Angriffen schützen. Niemand darf wegen eines Kopftuchs oder seines Glaubens beleidigt oder diskriminiert werden. Wer Freiheit verteidigen will, muss auch die Religionsfreiheit von Musliminnen und Muslimen verteidigen.
  7. Kinder vor islamistischer Propaganda schützen: Wir dürfen es nicht zulassen, dass unsere Kinder, egal welcher Herkunft, radikalisiert werden. Kinder brauchen unseren Schutz vor islamistischer, antisemitischer und menschenfeindlicher Propaganda. In den Schulen müssen wir klarstellen, dass der Islam eine Religion und Islamismus eine verfassungsfeindliche politische Ideologie. Das heißt: Wir müssen Demokratiebildung, Medienkompetenz und Resilienz stärken, in den Schulen und in den
    Sozialen Medien.
  8. Sicherheitsbehörden stärken: Feinde unserer liberalen Demokratie lieben das Chaos und verstecken sich dahinter. Wir müssen den Überblick behalten. Deswegen brauchen wir eine gemeinsame Übersicht der Sicherheitsbehörden über Islamistische Prediger im Netz, um die Strafverfolgung und Prävention zu verbessern. Damit können sich Sicherheitsbehörden schneller und effizienter über Bundesländergrenzen hinweg einen Überblick über vorhandene Erkenntnisse verschaffen und
    Präventionsmaßnahmen gezielt einsetzen.

Die Autoren:
Tim Achtermeyer ist Landesvorsitzender der GRÜNEN NRW und Mitglied des Landtages, Alexandra Geese ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und die Digitalexpertin der Grünen Europa-Fraktion.

© Neele Janssen