So eine Startbilanz von Regierungen ist, ehrlich gesagt, immer ziemlich vorhersehbar. Die Regierung gibt sich selbst fantastische Noten. Selbst die größten Stolperstellen führen nur zu einer Minimal-Korrektur nach unten. Die Opposition sieht das traditionell ganz anders: Die Regierung mache gar nichts richtig, der Kurs sei ohnehin grundsätzlich falsch. Auf Bundesebene gehöre ich jetzt einer Oppositionspartei an. Ich versuche dennoch mal draufzuschauen. Wir Politiker sagen da ja gern mal „differenziert“. Sagt mir gern, ob ich das geschafft habe.
Grundsätzlich wünsche ich dieser Regierung nämlich erstmal Erfolg. Nein wirklich. Und nein, das liegt nicht daran, dass diese Regierung die „letzte Patrone der Demokratie“ sei, wie Markus Söder gesagt hat. Ich halte das für Unsinn. Und für eine viel zu gefährliche Aufladung der ganzen Sache. Denn: Die Alternative zu einer demokratischen Regierung muss immer eine andere demokratische Regierung sein. Immer alles auf den Kompass der AfD auszurichten, führt am Ende genau dahin, wo man nicht hinwill – weil die Kompassnadel irgendwann zur Wegbeschreibung für Wähler*innen wird.
Nein, es ist viel banaler: Ich bin deutscher Staatsbürger. Ich will, dass dieses Land erfolgreich ist. Und dafür muss eben die Regierung erfolgreich arbeiten. (Das ist im Übrigen der Kernunterschied einer konstruktiven zu einer populistischen Oppositionen.) Bis zum Sommer sollte man eine bessere Stimmung im Land merken, sagte der Bundeskanzler. Jetzt ist Sommer. Und ich bin von dieser anderen Stimmung noch nicht überzeugt. Jedenfalls spüre ich sie nicht – morgens an der Bahnhaltestelle.
Aber ich fange mal mit dem an, was gut ist: Friedrich Merz ist ein überzeugter Europäer. Und das merkt man auf Auslandsreisen. Ich finde das wirklich gut. Ich begreife aber genau deshalb nicht, wie er gleichzeitig die größte europäische Errungenschaft – den Binnenmarkt mit freien Grenzen – dermaßen konterkariert. Die Richtung stimmt in den Reden, aber im Handeln geht man leider andere Wege.
Das gleiche Muster erkenne ich beim Demokratieverständnis dieser Koalition. Sie hat sich mit dem Patronen-Narrativ einen derart großen normativen Anspruch auf den Rücken geschnallt, dass die Fehlleistung bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts wie ein noch größeres Debakel wirkt – und jetzt kleingeredet wird, was im Ergebnis noch schlimmer ist.
Beim Klimaschutz sagt die neue Wirtschaftsministerin ganz offen, der Klimaschutz sei „überbetont“ worden. Und ehrlich gesagt: Genau deshalb hatte ich gehofft, dass zumindest hier das gleiche Muster gilt – dass Reden und Handeln eben nicht zusammenpassen. Vielleicht, dachte ich, will sie sich einfach nur rhetorisch dagegen verwahren, grün oder gar „woke“ zu wirken. Das wäre schon problematisch gewesen. Aber leider nicht unrealistisch. Immerhin ist der Kulturkampf von rechts mittlerweile so krass, dass eine Regenbogenflagge manchen als Ausgeburt der Hölle gilt – und ich glaube aus dem Grund vorsichtshalber mal von der Bundestagspräsidentin eingeholt wird.
Aber die Ministerin meint, was sie sagt. Sie setzt nicht mehr auf erneuerbare Energien – eine krasse Erfolgsgeschichte der letzten Jahre – sondern wieder auf Gas. Als hätte es die letzten drei Jahre nicht gegeben. Als gäbe es in der Ukraine keinen Krieg, in dem Gas ganz real als Erpressungsinstrument gegen Ukraine-Unterstützer eingesetzt wurde. Und Klimaschutz? Der soll sich dann offenbar wieder irgendwo anders ansiedeln – nach dem alten GroKo-Muster: Wenn überhaupt, dann macht man ihn in Reden. Im moralischen Ton. Maximal noch im Umweltministerium.
Ich glaube auch nicht, dass diese Große Koalition die Kraft hat, Klimapolitik über den CO₂-Preis zu steuern. Dabei wäre das durchaus ein gangbarer Weg – und nicht zwingend unsozial, wenn man zum Beispiel ein Klimageld auf den Weg bringt und bei anderen Abgaben entlastet (Stichwort Stromsteuer). Aber genau das ja gestrichen. Heißt: Der CO₂-Preis wird steigen – ohne Entlastung an anderer Stelle. Und wir haben in der Gaskrise gesehen, was das mit einer Gesellschaft macht. Und das war nicht mal Klimapolitik – das war Putins Gashahn. Glaubt denn jemand im Ernst, diese Regierung würde es politisch durchhalten, den CO₂-Preis ohne Klimageld wirklich zu steigern? Ich nicht. Und ich fände es auch falsch. Ich fürchte nur, die GroKo wird sich dann nicht für Instrumente wie das Klimageld entscheiden – sondern einfach aus dem CO₂-Preis aussteigen. Das Ergebnis wäre dann: gar kein Klimaschutz mehr. Ich hoffe, ich irre.
Ein Punkt fehlt aber noch in meiner kleinen Bilanz – und den will ich nicht unterschlagen. Dass Deutschland weiterhin so klar an der Seite der Ukraine steht, ist gut, richtig und mutig. Der Kanzler steht da klar und deutlich – und wirbt für diese Haltung unermüdlich in Europa. Dafür zolle ich wirklich Respekt.
Ich wünschte nur, er hätte diese Klarheit auch bei anderen Problemen, die auf uns zukommen. Gerade innenpolitisch. Klimaschutz gehört ganz zweifelsfrei dazu. Aber auch die großen Fragen von Rente, Kranken- und Pflegeversicherung. Davon habe ich noch gar nicht geschrieben. Aber sie sind nicht minder groß. Und die Antworten darauf – sagen wir mal so – nicht zwingend populär. Hier hat die Arbeitskoalition noch nicht einmal zu arbeiten begonnen. Ich wünsche ihr auch hier – gerade als junger Staatsbürger – viel Erfolg. Denn wir werden ihn brauchen.